AG Brandenburg an der Havel: Urteil vom 23. Juli 2012 · Az. 37 C 54/12
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 789,72 € nebst errechneter Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz in Höhe von 24,61 € in der Zeit vom 01.07.2011 bis 21.12.2011 sowie weitere Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 789,72 € seit dem 30.06.2011, des Weiteren 9,00 € vorgerichtliche Kosten und die entstandenen Inkassokosten in Höhe von 3,00 € sowie 25,00 € vorgerichtliche Mahnbescheidserstellungskosten zu zahlen.
2. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Berufung wird zugelassen, soweit die Klage abgewiesen worden ist.
Tatbestand
Die Klägerin lieferte der Beklagten von ihr bestellte Ware zum Preis von 789,72 € brutto, die die Klägerin im Zeitraum vom 20.04.2011 bis 30.06.2011 in Rechnung stellte. Sie mahnte den Betrag dreimal schriftlich an und übergab am 20.09.2011 die Forderungsangelegenheit der E. GmbH & Co. KG. Sie zahlte dafür an die E. GmbH & Co. KG 117,00 € Vergütung.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 789,72 € nebst errechneter acht Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz in Höhe von 24,61 € in der Zeit vom 01.07.2011 bis 21.12.2011 sowie weitere acht Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz aus 789,72 € seit 30.06.2011, des Weiteren 9,00 € vorgerichtliche Kosten und die entstandenen Inkassokosten in Höhe von 117,00 € sowie 25,00 € vorgerichtliche Mahnbescheidserstellungskosten zu zahlen,
2. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an sie 789,72 € nebst errechneter acht Prozent-punkte Zinsen über dem Basiszinssatz in Höhe von 24,61 € in der Zeit vom 01.07.2011 bis 21.12.2011 sowie weitere acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 789,72 € seit 30.06.2011, des Weiteren 9,00 € vorgerichtliche Kosten zu zahlen, sowie die Klägerin von Inkassokosten in Höhe von 117,00 € sowie 25,00 € vorgerichtliche Mahnbescheidserstellungskosten freizustellen,
Die Klägerin hat außerdem beantragt, Versäumnisurteil im schriftlichen Vorverfahren zu erlassen.
Das Gericht hat das schriftliche Vorverfahren angeordnet.
Die Beklagte hat sich nicht zur Akte geäußert.
Gründe
Die Verurteilung der Beklagten beruht auf ihrer Säumnis.
Hinsichtlich der geltend gemachten Inkassokosten war die Klage als unbegründet abzuweisen, soweit der Klägerin für eine entsprechende Mahnung nicht ebenfalls Unkosten entstanden wären, also in Höhe von 3,00 €.
Die Inkassokosten sind im Übrigen nicht erstattungsfähig.
Denn die Kosten für die vorgerichtliche Beauftragung eines Inkassounternehmens zum Forderungseinzug sind nicht als Verzugsschaden gemäß § 286 BGB zu erstatten. Der entsprechende Schadenersatzanspruch ist gemäß § 254 BGB ausgeschlossen, weil es sich nicht um eine erforderliche und zweckmäßige Maßnahme zur Schadensabwehr bzw. –minimierung handelt.
Die Rechtsprechung hat im Rahmen von §§ 249, 254 Abs. 2 Satz 1 BGB generell Aufwendungen des Gläubigers zur Schadensbeseitigung für erstattungsfähig gehalten. Es handele sich um adäquat verursachte Schäden (Palandt-Grüneberg, § 254, Rn. 36 m. w. N.).
Es ist deshalb anerkannt, dass der Gläubiger neben dem eigentlichen Verzugsschaden, wie z. B. entgangenem Gewinn, auch diejenigen Aufwendungen geltend machen kann, die er zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung macht. Dazu zählen insbesondere Mahn- und Rechtsanwaltskosten und die Kosten sonstiger eigener Mahnbemühungen (Palandt-Grüneberg § 286 Rnr. 45).
Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um zweckentsprechende und erforderliche Maßnahmen zur Schadensabwehr handelt.
Der Bundesgerichtshof hat zwar mit dem Urteil vom 24.05.1967, VIII ZR 278/64, (Beck RS 2011, 24089 unter II.) festgestellt, dass Inkassokosten als Verzugsschaden erstattungsfähig seien, weil sie durch den Verzug adäquat verursacht seien.
Denn der Schuldner habe mit Beitreibungsmaßnahmen zu rechnen.
Dies kann jedoch keine Freistellung von den Anforderungen des § 254 BGB sein. Der Gläubiger muss sich auch im Rahmen der Schadensabwehr und –vermeidung um möglichst geringe Kosten bemühen.
Deshalb bedarf es einer weiteren Einschränkung der Erstattungsfähigkeit der Kosten derartiger Maßnahmen, indem man auf die Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit der Maßnahme abstellt, um den Begriff der Adäquanz näher auszufüllen bzw. einzugrenzen.
Für vorgerichtliche Inkassokosten kann nämlich nichts anderes gelten als für Rechtsanwaltskosten. Deren Erstattungsfähigkeit hat der Bundesgerichtshof davon abhängig gemacht, dass die Einschaltung eines Rechtsanwaltes zweckmäßig und erforderlich war (Nachweise bei Palandt-Grüneberg, § 249 Rn 57). Dies stellt keine unzumutbare oder unbillige Einschränkung der Wahl des Gläubigers bei der Wahl geeigneter Beitreibungsmittel dar.
Auch die Rechtsprechung hat seit dem o.g. Urteil des BGH vom 24.05.1967, hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten als adäquat kausale Verzugsfolgen eine Einschränkung vorgenommen. Die Aufwendungen sind im Falle der Erfolglosigkeit nur zu erstatten, wenn der Schuldner vor Einschaltung des Inkassounternehmens weder erkennbar zahlungsunfähig noch zahlungsunwillig gewesen ist (weitere Nachweise bei Palandt-Grüneberg, § 286, a.a.O.).
Damit zeigt die überwiegende Meinung, dass in diesen Fällen, d. h. wenn der Schuldner anzeigt oder dies sonst erkennbar ist, dass er zahlungsunfähig oder –unwillig ist, die Einschaltung des Inkassounternehmens aussichts- und damit sinnlos ist.
Allerdings ist auch in den sonstigen Fällen, d. h. wenn der Schuldner nicht erkennbar zahlungsunfähig oder –unwillig ist, die Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten zu verneinen.
Denn auch in diesen Fällen ist die Einschaltung eines Inkassounternehmens weder erforderlich noch angemessen, deshalb auch nicht adäquat kausal, weil andere, mindestens genauso effektive, aber preisgünstigere Möglichkeiten zur Verfügung stehen (s. AG Zossen, Urteil vom 13.12.2006, G.-Nr.: 2 C 229/06).
Deren nachweisbaren Vorteile werden durch mögliche Vorzüge der vorgerichtlichen Beauftragung eines Inkassounternehmens nicht aufgewogen.
Es ist vereinfacht gesagt so, dass der Gläubiger entweder wesentlich kostengünstiger ohne erkennbare Einbußen in der Wirksamkeit selbst mahnen kann oder in rechtlich schwierigen Fällen oder bei hartnäckiger Weigerung des Schuldners mit deutlich höherer Erfolgsaussicht, aber teilweise deutlich geringeren Kosten den Gerichtsweg (Mahnverfahren) beschreiten bzw. einen Rechtsanwalt beauftragen kann. Für die Beitreibung von Forderungen im vorgerichtlichen Bereich bedarf es deshalb keines Inkassoinstitutes. Dies gilt jedenfalls, wenn diese seriös, d. h. ohne unzulässige Druckmittel, arbeiten.
Von dem regelmäßigen Auftraggeber eines Inkassounternehmers, einem wirtschaftlichen Mittel- oder Großunternehmen kann erwartet werden, dass er den unter kaufmännischen Gesichtspunkten, d.h. dem Verhältnis von Aufwand und Ertrag, d. h. Kosten und Wirksamkeit, günstigsten Weg wählt.
Dies ist jedenfalls nicht die Beauftragung eines Inkassounternehmens. Denn sie ist aus der vorausschauenden Sicht des Gläubigers die teuerste und am wenigsten effektive Maßnahme. Ob diese Kosten für den Schuldner vorhersehbar sind, kann insofern nicht den Unterschied machen.
Dies gilt sowohl dann, wenn das Inkassounternehmen nichts erreicht, als auch in den Fällen, wie vorliegend, wenn der Schuldner sich zur Zahlung veranlasst sieht.
Denn bei der Prognoseentscheidung aus Sicht des Gläubigers im Hinblick auf eine sinnvolle Beitreibung müssen beide Möglichkeiten im Auge behalten werden, um Kosten und Wirkung gegeneinander abzuwägen, Scheitern und Erfolg (1. und 2.).
Schließlich kann auch die Erstattungsfähigkeit in Höhe etwa ersparter Rechtsanwaltskosten nicht festgestellt werden (3.).
1. Das Inkassounternehmen scheitert (nach verschiedenen eigenen Angaben von Inkassounternehmen in etwa 25 – 45 % der Fälle), ohne dass diese Möglichkeit vorher erkennbar war:
Der Schuldner zahlt trotz Intervention des Inkassounternehmens nicht. Dann ist die Wahl des Inkassounternehmens aus Sicht der Beteiligten die teuerste Variante, der Aufwand komplett vergeblich. Dies gilt für beide Ursachen des Scheiterns:
a) Der Schuldner ist zahlungsunfähig. Dann sind die Hauptsacheforderung und erst recht die Kosten nicht einbringlich. Der Aufwand war umsonst, die Beitreibungskosten vergeblich aufgewandt, aus Sicht des Gläubigers also sinnlos.
Hier geht das Interesse des Gläubigers dahin, möglichst ein preiswertes Verfahren gewählt zu haben, um im Falle eines Misserfolgs mit möglichst geringen Kosten belastet zu werden.
Die Gebührensätze der Inkassounternehmen liegen, wie auch der vorliegende Fall zeigt, deutlich über denen von Rechtsanwälten, erst recht vom gerichtlichen Mahnverfahren (Das Inkassounternehmen verlangt hier 117,00 Euro. Der Rechtsanwalt könnte für ein einfaches Mahnschreiben nur 23,40 Euro, bei voller außergerichtlicher Vertretung nur 97,18 Euro beanspruchen (Gebühren gem. Nr. 2302 bzw. 2300, 7002 Anl.1 zum RVG), das gerichtliche Mahnverfahren kostet 23,00 Euro zuzüglich Kosten für das Formular).
b) Der Schuldner ist zahlungsunwillig. Hier kommt es zur Kostenkumulation. Der Gläubiger muss nunmehr einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung betrauen oder selbst ein gerichtliches Mahnverfahren einleiten. Er hat damit zusätzlich zu den Inkassokosten die Kosten eines Rechtsanwaltes bzw. der gerichtlichen Geltendmachung zu tragen.
Auch hier wird dem Gläubiger von weiten Teilen der Rechtsprechung die Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten versagt, weil der Gläubiger zur Schadensminderung sogleich den Rechtsanwalt hätte beauftragen können (Nachweise bei Palandt-Grüneberg, § 286, Rn. 46).
Darüber hinaus haben die Einleitung des Mahnverfahrens und die Beauftragung eines Rechtsanwaltes den wirtschaftlichen Vorteil, dass stets eine Anrechnung der entstandenen Kosten auf die eines etwa erforderlich werdenden Rechtsstreits erfolgt.
Die anwaltliche Gebühr wird teilweise auf die gerichtliche Verfahrensgebühr angerechnet (Vorbemerkung 3 Absatz 4 der Anlage 1 zum RVG), die Gerichtsgebühren des Mahnverfahrens werden auf die des Rechtsstreits angerechnet (Nr. 1210 Satz 1, 2. Halbsatz der Anlage 1 zum GKG). Inkassokosten sind nicht anrechenbar.
2. Das Inkassounternehmen hat Erfolg, der Schuldner zahlt.
Auch in den diesen Fällen handelt es sich bei der Einschaltung eines Inkassounternehmens um unnötige Kosten. Dabei handelt es sich um die Fälle, in denen der Schuldner grundsätzlich zahlungsfähig und -willig ist, aber gewissermaßen eines letzten Anstoßes zur Zahlung bedarf, eines höheren Druckes, einer besonderen Ansprache oder auch Hilfestellung.
Die Kosten des Inkassounternehmens wären nur erstattungsfähig, wenn in dieser Situation seine Beauftragung erforderlich und zweckmäßig, d. h. wirtschaftlich sinnvoll ist.
Die Zweckmäßigkeit ist schon deshalb nicht gegeben, weil die Kosten überhöht sind und mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit (s.o. unter 1.) vergeblich aufgewandt sind.
Auch die Erforderlichkeit fehlt, weil die anderen Beitreibungsmöglichkeiten kostengünstiger sind und eine höhere Erfolgsaussicht haben.
Erforderlich wäre die Einschaltung eines Inkassounternehmens nämlich nur, wenn ohne die Einschaltung des Inkassounternehmens die Zahlung des Schuldners ausbleiben würde bzw. nicht die anderen preiswerteren Methoden ebenso erfolgversprechend sind.
Es ist also der gedankliche Gegenversuch anzustellen, ob bei Fortsetzung der Mahnbemühungen des Gläubigers, der Einleitung eines Mahnverfahrens oder der Einschaltung eines Rechtsanwaltes die Erfolgschancen geringer wären. Dies muss verneint werden. Vielmehr wird man sagen, dass gerade zahlungsfähige und -willige Schuldner dann erst recht gezahlt hätten.
Denn der Druck durch ein Rechtsanwaltsschreiben oder durch einen gerichtlich zugestellten Mahnbescheid, die auf den real drohenden Zwang durch ein gerichtliches Verfahren mit anschließender Zwangsvollstreckung verweisen, dürfte deutlich höher sein als das Schreiben eines seriösen Inkassounternehmens.
Denn tatsächlich verfügen die Inkassounternehmen über kein nachhaltiges Druckmittel, das über die eigenen Möglichkeiten des Gläubigers hinausgeht. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass der Gläubiger selbst dieselben Einwirkungsmöglichkeiten wie das Inkassounternehmen hat. Darüber hinausgehende Aktivitäten der Inkassoinstitute sind nur im Ausnahmefall zulässig und erfolgversprechend. Sie rechtfertigen insbesondere nicht die durchgehende Beauftragung in allen Fällen der vorgerichtlichen Einziehung zu hohen pauschalierten Kosten.
Bei diesen Aktivitäten des Inkassounternehmens, die gerade nicht ihre Beauftragung zu den die Gebühren eines Rechtsanwaltes übersteigenden Vergütungssätzen rechtfertigt, handelt sich a) um eine gewisse Beharrlichkeit (Hartnäckigkeit), b) eine gewisse irrationale Befürchtung des Schuldners vor den Konsequenzen der fortdauernden Verweigerung der Zahlung sowie c) das Ergebnis besonderer intensiver Beitreibungsmethoden und d) eingeholter Auskünfte.
a) Die Beharrlichkeit des Inkassounternehmens
Gemeint ist der Fall, dass der Schuldner nicht auf die zweite, sondern auf die dritte oder vierte Mahnung erst reagiert. Der Schuldner hätte dann ohnedies auf nachhaltige und mehrfache Mahnungen des Gläubigers selbst gezahlt. Dabei wird davon ausgegangen, dass diese mit den entsprechenden, für Mahnschreiben, besonders durch Inkassounternehmen, typischen, durchaus rechtlich unbedenklichen Drohungen (mit Rechtsanwalt, hohen Kosten, Gerichtsverfahren etc. pp.) oder auch mit Angeboten zur Tilgung verbunden sind (Ratenzahlungsangeboten pp.). Die Beauftragung des Inkassounternehmens ist in solchen Fällen überflüssig.
Denn eine solche Hartnäckigkeit bei seinen Mahnungen ist dem Gläubiger durchaus zumutbar, insbesondere bei den unverhältnismäßigen Kosten des Inkassounternehmens. Denn es handelt sich bei diesen Mahnungen um Tätigkeiten, die jedes kaufmännisch organisiertes Unternehmen problemlos selbst durchführen könnte.
Der Kern der Inkassotätigkeit beschränkt sich auf den Einzug der Forderung, d. h. die Erstellung und das Ausbringen von Mahnungen, die Einnahme der Zahlungen sowie auf die Kontrolle und die Nachforderungen der eingegangenen bzw. nicht eingegangenen Gelder, also einfachste buchhalterische Maßnahmen, die der Gläubiger auch selbst durchführen müsste bzw. die hinsichtlich etwa eingehender Gelder ohnehin bei ihm selbst nochmals vollzogen werden müssen, da die durch das Inkassounternehmen eingenommenen und weitergeleiteten Gelder letztlich bei ihm auch als Einnahmen verbucht werden müssen. Auch Ratenzahlungsangebote muss das Inkassounternehmen mit dem Gläubiger abstimmen.
Im Gegenteil führt die teilweise Verdopplung der Vorgänge der Buchhaltung bei Gläubiger und Inkassounternehmen verbunden mit dem Gewinn des Inkassounternehmens zu einer deutlich höheren Kostenbelastung, wobei noch hinzu kommt der Aufwand für die Kommunikation zwischen Gläubiger und Inkassounternehmen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach den Erfahrungen des Gerichts ausschließlich große und mittlere kaufmännische Unternehmen (wie hier) Inkassounternehmen einschalten, die also ohnehin eine komplexe Buchhaltung vorhalten. Gerade für diese Unternehmen stellt sich die Verlagerung der eigenen Inkassoabteilung auf ein Inkassounternehmen als geradezu missbräuchlich dar. Denn die überzogenen Kosten der Inkassofirmen werden auf die zahlungswilligen und –fähigen Schuldner abgewälzt, die sich ihrerseits aus ihrer Position heraus nicht wehren wollen, obwohl die eigenen Mahnkosten des Gläubigers nur ein Bruchteil betragen würden.
„In der Vergangenheit sind große Gläubiger (insb. Banken) dazu übergegangen, das Inkasso an Inkassobüros auszulagern. Einer der Gründe war, dass die externen Kosten des Inkassobüros auf den Schuldner abwälzbar sind, die Kosten der internen Abwicklung der Forderungen jedoch nicht. Teilweise wurden Tochtergesellschaften gegründet, um dieses Inkasso durchzuführen.“ (Wikipedia – Inkassounternehmen – Arten von Inkassounternehmen in http://de.wikipedia.org/wiki/Inkassounternehmen)
Auch kann der Gläubiger für den Bruchteil der Kosten einen Mahnbescheid beantragen mit erheblichen Vorteilen, die ein Inkassounternehmen nicht bieten kann (AG Zossen a. a. O.). Die Verjährung wird gehemmt, es besteht die Chance einen vollstreckbaren Titel zu erhalten und die Kosten sind deutlich niedriger. Außerdem hat die förmliche Zustellung eines Mahnbescheides auch durchaus eine beeindruckende Wirkung, weil nunmehr durch eine staatliche Institution der Rechtsstreit oder gar ein Vollstreckungstitel unmittelbar nachvollziehbar drohen.
b) Der psychologische„Druck“ der Inkassounternehmen
Hier ist der Effekt gemeint, dass die (rechtlich zulässigen) Drohungen des Gläubigers (s.o. unter a)) nicht so wirksam erscheinen mögen wie die des Inkassounternehmens, allerdings aus Gründen, die letztlich nicht mehr als angemessen und adäquat bezeichnet werden können.
Viele Schuldner sind wohl der Auffassung, dass die Mahnungen eines Inkassounternehmens „ernster“ zu nehmen sind, als die des Gläubigers selbst.
Mit dem Begriff des Inkassounternehmens verbindet sich nach laienhafter Vorstellung nämlich immer noch die Befürchtung von Repressalien, zumindest erheblichen Belästigungen, so dass zu vermuten steht, dass der Schuldner sich letztlich auch deshalb zur Zahlung bequemt, d. h. aus irrationalen Befürchtungen und wegen einer gewissen Lästigkeit der Mahnungen.
Auch wenn die meisten Unternehmen seriös arbeiten, so verbleibt dieser Rest an Vorverständnis.
Dieses Vorverständnis hat reale Ursachen.
Denn ein Teil der Inkassounternehmen arbeitet unseriös bzw. treibt auch zweifelhafte Forderungen ein. (s. Angaben des Brandenburgischen Justizminister Dr. Schöneburg, zitiert nach „Gibt es unseriöse Inkassounternehmen in Brandenburg?
Der BDIU erwartet Aufklärung“ unter www.inkasso.de/presse/pressemeldungen/inkassoinbrandenburg/index.html,
sowie Daniela Kuhr, „Drohen, einschüchtern, abzocken“ in www.sueddeutsche.de/geld/inkassounternehmen-drohen-und-einschüchtern- ).
Daraus speist sich in der Bevölkerung auch eine spezielle Befürchtung, denn eine Abgrenzung ist kaum möglich. Der Schuldner kann die Seriosität des Inkassounternehmens kaum prüfen, er wird nicht erst warten, zu welchen Eskalationen das Inkassounternehmen bereit ist (Anrufe bis zum Telefonterror, Hausbesuche, Auflauern, Nachlaufen, Mitteilungen an Dritte, etc. pp.)
Aus normativen Gründen kann die Rechtsordnung die erfolgreiche Verbreitung von Bedrohungsgefühlen (Einschüchterung), auch wenn sie unabsichtlich erfolgt (ironischerweise „profitieren“ dadurch mittelbar auch seriöse Inkassounternehmen vom teils schlechten Ruf der Branche), nicht zum Maßstab für eine erstattungspflichtige angemessene erfolgversprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung machen.
Demgegenüber stellt sich die möglicherweise auch einschüchternd wirkende Einschaltung eines Rechtsanwalts, der später aber auch das gerichtliche Verfahren betreiben kann, als eine angemessene und sinnvolle Maßnahme zur Wahrnehmung der Rechte des Gläubigers und zur Durchsetzung seiner Interessen dar. Schon aus normativen Gründen kann niemand, der beim Verzug seines Schuldners einen Rechtsanwalt beauftragt, die Erstattung der durch die Beauftragung entstandenen Kosten verwehrt werden. Denn der Rechtsanwalt ist als Organ der Rechtspflege in besonderer Weise zur Wahrnehmung der rechtlichen Interessen seines Auftraggebers in jeder Lage berufen.
Seine Einschaltung signalisiert zugleich dem Schuldner, dass der Bestand der Forderung rechtlich geprüft worden ist und im Zweifel auch gerichtlich geltend gemacht werden wird. Gerade dies kann und darf ein Inkassounternehmen nicht.
Außerdem ist der durch Rechtsanwälte ausgeübte psychologische Druck durchaus höher und damit effektiver:
„Ein kleiner Teil der Inkassobüros sind Abteilungen von Rechtsanwaltskanzleien, die sich auf das Beitreiben von Forderungen spezialisiert haben. Manche davon arbeiten so schnell, effektiv und kostengünstig wie die großen Inkassounternehmen, haben dabei aber zum Teil bessere Beitreibungsquoten. Dies dürfte vor allem dem latenten psychologischen „Bedrohungspotenzial“ durch Anwaltsbriefköpfe zu verdanken sein, die wesentlich einschüchternder wirken und, ohne speziell darauf einzugehen, eine Beitreibung mit gerichtlicher Hilfe implizieren.“ (Wikipedia – Inkassounternehmen – Arten von Inkassounternehmen in http://de.wikipedia.org/wiki/Inkassounternehmen)
c) Unmittelbare Einwirkung auf den Schuldner durch Telefonate und persönliche Besuche
Diese Form der Betreuung des Schuldners wird nur in wenigen Fällen erforderlich und Erfolg versprechend sein.
Deshalb rechtfertigt der Aufwand nur dann die höheren Kosten, soweit er im Einzelfall tatsächlich anfällt. Eine Pauschale, die dies nicht bereits berücksichtigt, ist unverhältnismäßig. Wenn bereits eine schriftliche Mahnung und telefonische Kontakte genügen oder der Schuldner ohnehin den Kontakt ablehnt, können die Kosten für derartige Maßnahmen nicht dem Schuldner auferlegt werden.
In diesem Bereich besteht zwar eine gewisse Stärke der Inkassoinstitute gegenüber der Beauftragung von Rechtsanwälten. Denn der Gläubiger kann zwar selbst auch entsprechend tätig werden, Rechtsanwälte aber kümmern sich nicht um die Schuldner in dieser Weise.
Der persönliche Kontakt ermöglicht es, unmittelbar auf den Schuldner einzuwirken. Dadurch lässt sich mancher Schuldner auch zur Zahlung bewegen.
Es ist davon auszugehen, dass dabei neben Hinweisen auf die legalen Konsequenzen für den Schuldner auch Hilfestellungen wie Ratenzahlungen eine Rolle spielen, der sachliche Inhalt der Mahnschreiben also persönlich vermittelt wird.
Der menschlich unmittelbare Kontakt hat erfahrungsgemäß immer mehr Wirkung als ein bloßer Brief, der leicht beiseite gelegt und damit auch geistig verdrängt wird.
Aus drei Gründen ist aber eine Erstattungsfähigkeit der dafür entstandenen Kosten als Pauschale ausgeschlossen. Denn diese Maßnahmen sind nur in Ausnahmefällen anwendbar und vorsichtig anzuwenden. Die Kosten können daher nur im konkreten Fall bei entsprechender Eignung des Falles geltend gemacht werden:
aa) Es gibt eine reale Missbrauchsgefahr.
Denn dieser gesprächsweise Kontakt wird nicht näher dokumentiert, so dass ein Missbrauch (z.B. durch Einschüchtern, Drohen mit Bekanntgabe der Schulden gegenüber Dritten u. ä.) nicht ausgeschlossen ist.
bb) Die Kontaktaufnahme muss einverständlich sein.
Denn das Inkassounternehmen kann den persönlichen Kontakt mit dem Schuldner bei der vorgerichtlichen Beitreibung nicht erzwingen. Das Eintreiben nicht gerichtlich festgestellter Forderungen ist keine Wahrnehmung berechtigter Interessen, die es zulässt, einen anderen dadurch unzumutbar zu belästigen, dass man ihn gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln verfolgt, (vgl. § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2.b) i. V. Satz 2 GewSchG). Dies ergibt sich aus dem grundgesetzlich garantierten Bereich der Privatsphäre, die durch Auflauern und Telefonanrufe gegen den erklärten Willen des Angerufenen/Angesprochenen erheblich verletzt wird.
Denn das Geltendmachen unberechtigter Forderungen ist keine Wahrnehmung berechtigter Interessen. Würde man aber die Prüfungskompetenz auf das Inkassoinstitut verlagern, ob es sich um eine berechtigte oder unberechtigte Forderung handelt, könnte das Inkassogewerbe stets auf darauf verweisen, dass man die Forderung für berechtigt halte und mit dieser Aussage jede Zudringlichkeit im o.g. Sinne rechtfertigen.
cc) Die personalintensiven Hausbesuche sind sehr kostenaufwändig.
Es wäre deshalb ein grober Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht, wenn sie in jedem Fall durchgeführt würden.
Wegen dieser Bedenken kann nur im Einzelfall der konkret entstandene Aufwand erstattungsfähig sein.
Eine Pauschale, die einerseits diesen Aufwand vorweg nimmt, andererseits auch dann zu zahlen ist, wenn tatsächlich nur ein Brief geschrieben worden ist, also ein Minimalaufwand betrieben wird, wie im vorliegenden Fall, stellt keine angemessene Aufwendung dar.
Es handelt sich also um einen Ausnahmefall, der gesondert zu vergüten ist, gerade wegen des besonderen Aufwandes. Auch bei Rechtsanwälten werden nur bei persönlichem Kontakt zur Gegenseite weitere Gebühren als die Geschäftsgebühr fällig, (Terminsgebühr zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens (Vorbemerkung 3 Absatz 3 der Anlage 1 zum RVG)).
Hier ist nichts dazu vorgetragen, dass etwa ein Hausbesuch durchgeführt worden ist. Die Durchführung mehrerer – offenbar nur teilweise – erfolgreicher Telefonate rechtfertigt jedenfalls nicht die geltend gemachten Kosten. Sie stehen außer Verhältnis zu dem Aufwand, der betrieben worden ist.
d) Besondere Ermittlungstätigkeit
Soweit die Inkassounternehmen neben den eigentlichen Mahnungen weitere Dienstleistungen erbringen (z. B. Prüfung der Anschrift, Rechtsform und Liquidität des Schuldners), sind dies Leistungen, die jede Wirtschaftsdatei erbringt und deren Kosten bei Erforderlichkeit und nachgewiesenem Aufwand auch erstattungsfähig sind. Diese Leistungen sind hier aber weder dargelegt noch erkennbar.
3. Schließlich kommt auch die Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten in Höhe vergleichbarer Rechtsanwaltskosten nicht in Betracht.
a) Denn da die Inkassounternehmen nur eine geringere Wirksamkeit anbieten, wäre die Kostenerstattung nur in den Fällen gerechtfertigt, in denen vergleichbare Rechtsanwaltskosten anfielen.
Weil aber inkassogeeignete Forderungen ohnehin nur unstreitige, unproblematische Forderungen sind (s.o. unter 2.), kann der Rechtsanwalt gerade in diesen Fällen kaum eine mittlere Gebühr (1,3 Gebühren gem. Nr. 2300 RVG-VV) abrechnen. Vielmehr handelt es sich regelmäßig um einfache Mahnschreiben, die keine Rechtsprüfung erfordern, so dass allenfalls eine 0,3 Gebühr gem. Nr. 2302 RVG-VV gerechtfertigt ist.
Aber gerade hier ist auch das Erfordernis der Einschaltung eines Rechtsanwaltes zweifelhaft, weil es sich um zum Geschäftsbetrieb des Gläubigers gehörende Tätigkeiten handelt, die er unschwer selbst ausführen kann (s.o. unter 1. a)).
b) Außerdem nimmt die Inkassobranche dadurch mittelbar ungerechtfertigt teil an der Privilegierung der Rechtsanwaltsgebühren, die in einer Bindung an den Streitwert unabhängig vom Aufwand besteht. Weil bei geringen und mittleren Streitwerten eine kostendeckende Rechtsberatung und –vertretung häufig unverhältnismäßige Kosten verursachen würde, hat der Gesetzgeber eine Staffelung vorgenommen, die bei hohen Streitwerten zu einem nicht am Aufwand orientierten Gebührenaufkommen führt. Erst diese Mischkalkulation macht einen wirtschaftlich sinnvollen Kanzleibetrieb möglich. Anzuführen sind etwa die Kosten für die Beantragung eines Mahnbescheides durch den Rechtsanwalt.
Diese Privilegierung hat ihren Rechtfertigungsgrund letztlich im Rechtsstaatprinzip, das eine funktionstüchtige Anwaltschaft voraussetzt, zu der auch eine wirtschaftlich gesicherte Existenzgrundlage gehört.
Für Inkassoinstitute besteht keine derartige Rechtfertigung, um vom Aufwand im Einzelfall unabhängige Kosten zu verlangen. Sie wird aber durch die Hintertür eingeführt, wenn man Inkassounternehmen die Möglichkeit gibt, ihre Vergütungen an diese Gebühren anzugleichen und sie für ihre Auftraggeber als Verzugsschaden (als ersparte Anwaltskosten) einzutreiben.
Die Entscheidungen über die Kosten und die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 2 ZPO.
Die Berufung war gemäß § 511 Absatz 4 ZPO zuzulassen, denn es handelt sich bei der Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten als Verzugsschaden sowohl dem Grund nach als auch dem Umfang nach um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, die bisher nicht abschließend geklärt ist.
Auch weicht die hiesige Entscheidung von der wohl herrschenden Meinung ab, im Einzelnen ist vieles umstritten, siehe die Nachweise im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 07.09.2011, Gesch.-Nr. 1 BvR 1012/11, Seite 6 unter II. 1. b) und Palandt-Grüneberg § 286 Rnr. 4.
Profil